Josef

Neuburger Wald Nähe PEB
Bildrechte Christian Vogel

Es ist jetzt vielleicht 2 Jahre her, dass wir uns zum ersten Mal begegneten. Auf meiner Stöckltour durch den Neuburger Wald in Kohlbruck kam mir ein rüstiger älterer Herr mit Rollator entgegen. „Sie sind ja noch flott unterwegs“ sprach ich ihn mit einem Lächeln an. Wir stoppten beide unseren Vorwärtsdrang und er wandte sich mir sehr erfreut ob der überraschenden Unterbrechung zu. „Raten sie mal, wie alt ich bin“ setzte er unseren kleinen Dialog umgehend fort und ich konnte etwas recht Spitzbübisches in seinem Antlitz nicht übersehen.

Ich dachte mir gleich, er wird wohl so Mitte bis Ende 80 Jahre alt sein und meinte sogleich, um ein mögliches Erstaunen nicht zu beschädigen, er sei wohl schon mindestens Mitte 70 oder so ähnlich. Er verneinte, konnte seine angespannt-lustige Erwartungshaltung kaum verbergen. Ich erhöhte auf 80 Jahre, wiederum eine fast schon fröhliche Ablehnung. Schlußendlich bot ich noch einmal 85 Jahre an, war mir sehr sicher, meinem Ziel nun recht nahe zu sein.

Aber auch hier zeitigte ich mit meinem kleinen Pokerspiel keinerlei Erfolg.

 

Nun musste er die Katze aus dem Sack lassen und er war tatsächlich genau 100 Jahre alt geworden, der Oberbürgermeister und einige andere Honoratioren hätten ihm anlässlich dieses bemerkenswerten Geburtstages ihre Aufwartung gemacht und die Presse war natürlich auch da. Allerdings klang das alles eher etwas gelangweilt, als dass er diesem Umstand nun tatsächlich übermässige Bedeutung zugemessen hätte. Und so kamen wir gleich auf die deutlich wesentlicheren Umstände unseres Daseins, insbesondere beim „Sporteln“ im Wald. Stolz zeigte er auf seinen kleinen Sammelkorb, in dem sich allerlei Grünzeug befand. Er sammelt vor allem Brennesseln, die er zur Düngung seiner Tomatenpflanzungen verwendet. Und das eine oder andere Kraut noch dazu, genaueres kann ich nicht mehr erinnern.

 

So treffen wir uns immer wieder mal an ähnlicher Stelle und er setzt sich dann sofort auf die Sitzablage seines Rollators und wir haben wunderbare Zeit für einen entspannten Ratsch. Einmal im späten Frühling habe ich ihm das Lied: Alle Vögel sind schon da vorgesungen und er war von meiner selbstgedichteten Strophe ganz angetan:

 

Lausch ich ihnen früh am Tag, tausendfache Stimmen.

Klangkaskaden wie im Traum, füllen Zeiten, füllen Raum,

öffne Fenster, schau auf den Baum, will ich mit euch singen.

 

Längst sind wir per Du, er heisst Josef und wird wohl eher Sepp gerufen, wie in Bayern ja weit verbreitet. Ich aber nenne ihn nur Josef und freue mich jedesmal sehr, wenn wir uns wieder begegnen, er hat mir schon viel aus alten Zeiten berichtet, was mich zum Teil auch an die Schilderungen meiner Mutter erinnert hat.

Früher war nicht alles besser, aber vieles wohl normaler, weil nicht so überfrachtet und entfremdet insbesondere durch das überbordende Medienangebot. Und ein Telefon mit Wählscheibe hat es damals eben auch getan und wenn ein Anruf erwartet wurde, musste halt wer zu Haus bleiben. Und das ging auch alles und war ganz natürliches Procedere.

 

Danke für Menschen wie Josef.

Der Erfahrungsreichtum der Älteren gehört mehr wertgeschätzt.

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ muss auch dieser Kategorie zugerechnet werden. Ehren hat mit Ehrfurcht zu tun und dieses ist keinesfalls irgendeine unterwürfige Verbeugung, sondern ganz im Gegenteil, die Anerkennung und der Respekt vor einer Lebensleistung mit vielen wertvollen Berichten für die Nachkommen.

Lasst uns die generationenübergreifende Kommunikation und Wertschätzung wieder verbessern, zum Wohle für uns alle.

 

LG von Chr